Guten Tag,
nach der Wohnungslosen_Stiftung hat sich nun auch der Verein "Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V." eindeutig gegen die vom 22. auf den 23. Juni 2022 in Berlin unter dem Motto "Zeit der Solidarität" geplanten Zählung obdachloser Menschen ausgesprochen.
Nachfolgend verbreite ich die Mitteilung, die am gestrigen Mittwoch auf Twitter veröffentlicht worden ist.
https://twitter.com/WoloTreffen/status/1526808424276697091
Diese Mitteilung ist ein erneuter Beleg dafür, dass die geplante Zählung von vielen Menschen und insbesondere von obdachlosen Menschen abgelehnt wird.
Die Erklärung des SwM e.V. zählt eine ganze Reihe von Kritikpunkten auf und nennt mögliche Alternativen.
Für die Nacht vom 22. auf den 23. Juni 2022 sind in Berlin Protestkundgebungen sowie weitere Aktionen geplant. Weitere Informationen demnächst hier.
Diese Nachricht darf gerne weiter verbreitet werden!
Herzliche Grüße,
Stefan
stefan.schneider at wohnungslosenstiftung.org
+49 - 177 - 784 73 37
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Position der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen zur zweiten Zählung der „Zeit der Solidarität" vom 22. auf den 23. Juni 2022 in Berlin
In der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 2022 will der Berliner Senat obdachlose Menschen, die vom bestehenden Hilfesystem bisher ungenügend erreicht werden und auf der Straße leben, erneut zählen.
Der Senat gibt an, dass er auf Grundlage der Ergebnisse aus diesen Nächten seine Hilfs- und Beratungsangebote ausweiten und spezialisieren will.
Die erste Zählung hat eine erstaunlich geringe Zahl von insgesamt 1976 obdachlosen Menschen, davon 807 auf der Straße, ergeben."
(Quelle: https://www. berlin.de/nacht-der-solidaritaet)
Menschen aus dem Netzwerk der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen möchten dazu wie folgt festhalten:
- Aus Sicht von wohnungslosen Menschen wirkt das Vorgehen bei der Zählung bedrohlich. Fremde Menschen in Gruppen durchstreifen den öffentlichen Raum und sprechen beliebig Menschen an, die sie für obdachlos halten.
- Es ist für Menschen, die auf der Straße leben, ein würdeloser Vorgang, gezählt zu werden, ohne dass die Situation grundlegend verändert wird.
- Der Nutzen der Zählung ist für wohnungslose Menschen nicht erkennbar.
- unauffällig lebende obdachlose Menschen werden gar nicht erkannt;
- Menschen werden aufgrund von Zuschreibungen und Wertungen als obdachlos eingestuft, obwohl sie gar nicht obdachlos sind oder werden als Obdachlose nicht erkannt, weil sie von ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht den Vorurteilen entsprechen;
- Menschen, die bei Bekannten schlafen oder sich in aus der Not geborenen einseitig abhängigen Beziehungen befinden, werden nicht erfasst;
- jemand, der nicht gezählt werden will, wird sich der Zählung entziehen
- Menschen, die sich in nicht öffentlichen Bereichen (z.B. geschlossene Parkanlagen, geschlossene Friedhöfe, Dachböden, Kellern, Kleingartenanlagen, im Wald usw.) aufhalten, werden auch nicht erfasst;
- wir befürchten, dass die verschiedenen Teilgruppen obdachloser Menschen gegeneinander ausgespielt werden sollen, z.B. Menschen aus anderen Ländern und Menschen ohne Papiere, Leistungsansprüche usw.; - Wir bezweifeln, dass die Zählung überhaupt den gewünschten Erfolg haben wird. Diese Zweifel hatten wir schon bei der ersten Zählung, die Ergebnisse geben uns offensichtlich recht.
- "Steuerung der Unterbringung wohnungsloser Menschen" - mit dieser menschenverachtenden Formulierung begründet der Senat seine Zählung. Die Zählung hat eine Alibi-Funktion - Menschen muss geholfen werden. Im Fall von wohnungslosen Menschen muss das eine Wohnung sein.
- Die Wohnungspolitik des Senats ist mitverantwortlich für die erhebliche Zunahme der Wohnungsnot und Obdachlosigkeit. Jeden Tag werden in Berlin einzelne Menschen und Familien zwangsgeräumt. Und für Menschen ohne Wohnung ist es gegenwärtig nahezu aussichtslos, eine eigene und bezahlbare Wohnung finden zu können.
- Wir können nicht erkennen, dass der Senat auf Grundlage der Zählung bezahlbare und menschenwürdige Wohnungen schaffen, bauen oder erwerben wird.
- Die Menschen von der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen wollen ihren Beitrag leisten zur Überwindung von Wohnungslosigkeit, Wohnungsnot und Hilflosigkeit. Statt auszuschwärmen und die Stadt zu durchsuchen, wäre es sinnvoller, einladende Anlaufpunkte zu schaffen, in denen obdachlose Menschen freiwillig ihre Bedarfe und Wünsche und Vorstellungen äußern können. Öffentliche Orte, an denen das möglich wäre, gibt es in Berlin genug, wie z.B. Schulen, Bibliotheken, Rathäuser.
- In dem 5 Punkte Programm aus dem Jahr 2018 hat die Selbstvertretung angeboten und vorgeschlagen, dass sich wohnungslose Menschen aktiv in den Wohnungsbau einbringen wollen, sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung.
- Grundsätzlich ist es wichtig und richtig, dass das Problem eine hohe Aufmerksamkeit bekommt, dass etwas zur unmittelbaren Hilfe für obdachlose Menschen getan wird und dass die Aufgabe der Schaffung von bezahlbaren Wohnungen für wohnungslose Menschen in Angriff genommen wird. Allerdings haben wir - wie oben genannt erhebliche Zweifel, ob eine Zählung nach der gewählten Methode der richtige Weg ist.
Stellungnahme der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V., beschlossen auf dem Koordinierungstreffen in Freistatt, 16.05.2022
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Abbildung: Krain: Vor dem Obdachlosenasyl [...]
Quelle: WikiCommons