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Wie der VskA // Fachverband der Nachbarschaftsarbeit heute, am Freitag, den 10.06.2022 offiziell mitteilt, ist die für den 22.06.2022 in Berlin geplante Zählung obdachloser Menschen in Berlin abgesagt worden. Dies wurde auf einem Treffen mit der Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping und der Staatssekretärin Wenke Christoph am Vortag entschieden.
Die Absage ist eine krachende Niederlage und schallende Ohrfeige für alle die, die sich für die Zählung ausgesprochen haben. Dazu gehören die Sozialsenatorin Katja Kipping, die Staatssekretärin Wenke Christoph, der Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin Brandenburg schlesische Oberlausitz Christian Stäblein, Gabriele Schlimper vom Paritätischen Landesverband Berlin, Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin, Volker Wieprecht vom Rundfunk Berlin Brandenburg, Rolf Erfurt von der BVG Berlin, Oliver Bürgel vom Landesverband Berlin der Arbeiterwohlfahrt, Barbara Eschen von der Landesarmutskonferenz Berlin, Werena Rosenke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., Dieter Puhl von der Berliner Stadtmission, Mario Czaja vom Berliner Roten Kreuz sowie zahlreiche Politiker*innen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus und viele andere mehr.
Es ist auffällig, dass sich in der Werbekampagne fast nur Menschen für die Zählung ausgesprochen haben, die selbst von Obdachlosigkeit gar nicht betroffen sind. Auffällig hoch ist der Anteil von Lobbyisten in Sachen Armutsbekämpfung und Obdachlosenhilfe bei den Befürworter*innen.
Die Absage zeigt: Die pauschalen Argumente und vagen Versprechungen der prominenten Befürworter:innen ["Wir brauchen Zahlen, um passgenaue Hilfen entwickeln zu können" etc etc.] haben die Berliner*innen nicht überzeugen können.
Dagegen hat die massive Kritik vieler obdachloser Menschen, Gruppen und Initiativen, Bündnisse und zahlreicher Sympathiesant*innen die Berliner Öffentlichkeit erreicht, denn trotz intensivster Bemühungen hatten nur knapp 1.200 Freiwillige sich für die Zählung gemeldet. Gebraucht hätte es aber mindestens 2.400 angemeldete Freiwillige.
Geht da nicht hin, macht da nicht mit. #ZeitDerSolidarität sieht anders aus.
Die Kritiker argumentierten, dass es nicht noch eine weitere überflüssige Zählung obdachloser Menschen braucht, sondern dass es in erster Linie darauf ankommt, #Obdachlosigkeit mit Hilfe von Wohnungen zu beenden. Auch ist es mit der Zählung gar nicht möglich, die Zahl obdachloser Menschen in Berlin zu erfassen, denn in Parks und Friedhöfen, in den zahlreichen Waldgebieten, auf Baustellen und in Gewerbegebieten, auf Dachböden und Kellern wird gar nicht gezählt.
Mit der fehlenden Unterstützung in der Öffentlichkeit und bei den obdachlosen Menschen wird ein grundsätzlicher Konflikt sichtbar: Ganz offenbar geht es eben nicht darum, wie viele Betreiber*innen von Angeboten der Wohnungslosenhilfe uns glauben machen wollen, die vielen unzureichenden Versorgungsangebote für obdachlose Menschen (z.B. Kältehilfe und zwangsgemeinschaftliche Massenunkterkünfte, die morgens wieder verlassen werden müssen) noch das eine oder andere ergänzende Angebot zu ergänzen oder zu optiemieren, sondern gefordert werden nachhaltige Anstrengungen, um Obdachlosigkeit zu überwinden.
Das muss deutlich mehr sein als Alibi-Feigenblatt-Modellprojekte wie z.B. die Housing First Modellprojekte, die nur ganz wenige obdachlose Menschen wieder in Wohnungen bringen können. Statt dessen werden umgehende und bedingslose Wohnungsangebote für alle geschätzt 6.000 - 10.000 Menschen, die in Berlin auf der Straße leben müssen, benötigt. Die Kapazitäten dazu sind vorhanden.
Umsteuern statt verschieben, politische Selbstvertretung obdachloser Menschen ermöglichen
Statt die überflüssige und unnötige Zählung auf den Januar 2023 zu verschieben, sollte umgehend damit begonnen werden, die politische Selbsthilfe obdachloser Menschen zu fördern und Formate zu entwickeln, die dazu beitragen, dass obdachlose Menschen sich zu Wort melden können. Mehrere Netzwerk_Treffen obdachloser Menschen sowie die Einrichtung einer Netzwerk- und Koordinierungs-Stelle obdachloser Menschen könnten Schritte in diese Richtung sein. Das sind die Voraussetzung dafür, um wirklich mit obdachlosen Menschen in einen Dialog auf Augenhöhe eintreten zu können.
Statt gegen ihren Willen gezählt zu werden, haben obdachlose Menschen bislang unter anderem gefordert: Drastische Änderungen in der Wohnungspolik, die Erfassung und Nutzung von Leerständen, das Verbot von Zwangsräumungen und ein Ende der Profitinteressen von Wohnungskonzernen, die Förderung selbstbestimmter Wohnformen und vor allem die Stärkung von Selbstvertretungen.
Kontakt: Stefan Schneider
+49 - 177 - 784 73 37