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Guten Tag,
für arme und wohnungslose Menschen und insbesondere für Menschen, die obdachlos auf der Straße leben (müssen), obgleich genug Wohnungen leer stehen, sind die kommenden Tage eben kein Fest der Besinnung, sondern eher eine ziemlich schwierige Zeit. Spätestens am 24.12. gegen nachmittag, wenn es dunkel wird, verschanzen sich sehr viele Menschen in ihren Wohnungen und Häusern und lassen es sich gut gehen mit opulentem Essen, aufwändigen Geschenken und geschmückten abgesägten Nadelbäumen, die für ein paar Tage aufgestellt und dann weggeworfen werden.
Ja, spätestens am Heiligabend beginnt der sogenannten "Helferrückzug", wie es Michael vom Armutsnetzwerk mal genannt hat. Folgt in den Tagen vor Weihnachten eine Weihnachtsfeier auf die andere, trennt sich spätestens am sogenannten Fest der Nächstenliebe die Spreu vom Weizen. Und siehe da: Die Orte, wo Menschen ohne ein warmes Zuhause jetzt noch hingehen können, sind an einer Hand abzuzählen. Matze aus Berlin zum Beispiel berichtet von einem 3-Gänge-Menü, dass vom Bündnis Solidarisches Kreuzberg organisiert wird. Markus aus Frankfurt am Main berichtet von einer Kirche, die die ganze Nacht über geöffnet ist für, wie er schreibt, "Arme und Bedürftige". Mit Sicherheit wird es auch an vielen anderen Orten Veranstaltungen wie diese geben. Aber im Grunde wird in diesen Tagen die soziale Spaltung zwischen drinnen und draußen, zwischen reich und arm, zwischen warm und kalt, zwischen gemeinsam und allein sein besonders deutlich.
Die Weihnachtspostkarte hier links zeigt eine Zeichnung von Rolf Höpfner aus dem Jahr 1993. Rolf Höpfner war selbst obdachlos und gehört zu den Gründern der Hannoversche Initiative obdachloser Bürger, kurz H.I.O.B. genannt. Rolf malte uns hier eine Weihnachtspostkarte im konventionellen Stil mit Maria, Jesus und Josef. Wir wissen aus dem Lukasevangelium, dass Josef und die hochschwangere Maria nach Bethlehem mussten, dort aber keine Unterkunft fanden (oder bezahlen konnten?) und deshalb notdürftig in einem Stall Unterkunft fanden - mehr geduldet als willkommen. Rolf Höpfner greift diese Geschichte in seinem Bild auf und drückt dem Kind eine Einweisung in eine Notunterkunft in die Hand.
Alle Menschen, die eine Notunterkunft schon mal von innen gesehen haben, wissen, dass es sich dabei in der Regel um zwangsgemeinschaftliche Massennotunterkünfte handelt, die häufig tagsüber wieder verlassen werden müssen. Wer das schon mal hat erleben müssen, dem ist klar, dass es gute Gründe gibt, dort nicht hinzugehen sondern lieber sich draußen nach einem Schlafplatz umzusehen. Vielleicht wollte Rolf Höpfner uns damit sagen: Schaut mal, in den ganzen zweitausend Jahren seitdem hat sich nicht wirklich was verändert: Nach wie vor bleiben Menschen draußen ohne Wohnung.
Und das müsste nicht sein. Das Beispiel Finnland zeigt, dass es möglich ist, jedem einzelnen Menschen eine Wohnung anzubieten. Deshalb ist in Finnland Obdachlosigkeit nahezu vollständig überwunden. Und die wenigen obdachlosen Menschen, die es dann immer noch gibt, genießen die volle Aufmerksamkeit der Obdachlosenhilfe. Weil das die Menschen sind, die ganz offensichtlich noch weitere Hilfen benötigen oder die mit einer Wohnung nicht zurecht kommen und für die andere Lösungen gefunden werden müssen. Das Finnische Beispiel einer erfolgreichen Bekämpfung setzt natürlich voraus, dass es kommunale Wohnungsbestände gibt, die obdachlosen Menschen bedingungslos zur Verfügung gestellt werden. Leerstand gibt es ja in Deutschland hinreichend, der für diese Zwecke genutzt werden könnte.
Sind die Feiertage also ein Anlass für Besinnung und Freude? Ja auf jeden Fall. Wir alle können die Zeit nutzen, um darüber nachzudenken, wie Wohnungslosigkeit auch bei uns bekämpft und beseitigt werden kann. Ich habe dazu - als Anregung - 14 Thesen (siehe unten) gefunden, die vor enigen Jahren ebenfalls in Hannover, von einigen Organisationen, die wir kennen, erarbeitet worden sind.
Wir werden auch im kommenden Jahr gemeinsam weiter arbeiten an dem Ziel, Wohnungslosigkeit zu bekämpfen und die Situation wohnungsloser Menschen erträglicher zu machen.
Nutzt die kommenden Tage, um Kraft zu sammeln für Treffen, für Austausch, Kampagnen und Aktionen. Nutzt die kommenden Tage, um darüber nachzudenken, wie wir diesen Zielen gemeinsam ein Stück näher kommen können.
In diesem Sinne: Frohe Feiertage und einen guten Start in das neue Jahr 2023 wünscht Dir
herzlich, Stefan
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Die Thesen haben die Organisationen armutstinkt, Landesarmutskonferenz (LAK-NDS), Selbsthilfe für Wohnungslose (Sewo e.V.), ZBS/Diakonisches Werk Hannover, Stimme der Ungehörten (StiDU e.V.) sowie Asphalt unterzeichnet.
Die Thesen lauten:
- Wohnen ist Recht.
- Die Wohnform bleibt jedem selbst überlassen, die Menschenwürde verwirklicht sich im freien Willen.
- Wohnen ist mehr als ein Dach überm Kopf.
- Jeder Mensch braucht einen sicheren (Rückzugs-) Ort.
- Massenunterkünfte, sowie die derzeitigen Standards der Unterbringung sind nicht mit der Würde des Menschen vereinbar.
- Wohnungslosigkeit zu verhindern ist günstiger, als Wohnungslosigkeit zu verwalten.
- Eigener Wohnraum rettet Leben.
- Wohnen entlastet das Gesundheitssystem.
- Wohnraum für alle ist eine Form der Gleichberechtigung.
- Die Unverletzlichkeit der Wohnung (gemäß Art. 13 GG) kann nur durch Wohnraum realisiert werden.
- Wohnraum darf kein Spekulationsobjekt sein.
- Wohnen im Quartier stärkt das Gemeinwohl – Armut kann nicht Umsiedeln bedeuten.
- Zwangsräumung berührt unmittelbar die Würde des Menschen. Zwangsräumung aufgrund von Armut oder finanzieller Not ist zu verhindern.
- Jeder Mensch, unabhängig von dem Stand seiner Bildung, seiner beruflichen Qualifikation, seiner Arbeit oder Profession und unabhängig seiner finanziellen Lage, kann von Wohnungsnot betroffen sein.
https://wohnen-ist-recht.de/projekte/thesen.html