Am Freitag, den 08.12.2023 um 18:00 Uhr lud die Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin in den Emma-Ihrer-Saal des Rathaus Pankow zu einer Festveranstaltung anlässlich der Verleihung des Pankower Ehrenamtspreises 2023 ein.
Alle für den Ehrenamtspreis vorgeschlagenen Bürger:innen bzw. Gruppen und Initiativen waren eingeladen, entsprechend voll war der Saal, und auch die Bürgermeisterin Dr. Cordelia Koch war dabei und betonte die Bedeutung ehrenamtlicher Arbeit für den sozialen Zusammenhalt im Bezirk Pankow. Der mit jeweils 500 € dotierte Preis – und dazu ein Eintrag im Goldenen Buch von Berlin Pankow – wurde an insgesamt sechs Menschen bzw. Gruppen in verschiedenen Kategorien vergeben.
Einer der ausgezeichneten Preisträger war Thorsten Liesicke für sein ehrenamtliches Engagement in der Notübernachtung beim Strassenfeger in der Storkower Straße.
Die Laudatio für sein Engagement war auffallend irritierend und hinterließ ein seltsames Gefühl. Alle Expert:innen wissen: Obdachlosigkeit ist kein Resultat von persönlichen Schwächen und Defiziten, von individuellen Fehlern und Schicksalsschlägen, und es geht eben nicht darum, in persönlicher Aufopferung sich hier vermeintlich Schwachen zuzuwenden und Charity zu betreiben, wie hier vorgetragen.
Laudator war ein Mensch namens Frank Behnke. Was Dr. Oliver Jütting, der als Vorsteher der Bezirksverordentenversammlung durch das Programm des Abends führte, nicht erwähnte, ist, dass Frank Behnke Mitglied der #No-AfD-Fraktion in Pankow ist.
Eine vorenthaltene Information, die den Charakter des ganzen Abends geändert hätte.
Eine Lobrede auf den Straßenfeger von einem Vertreter einer bekanntermaßen rassistischen und menschenfeindlichen Partei ist ein Schlag in die Fresse aller Menschen, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten ehrenamtlich beim Straßenfeger, in der Redaktion, beim Vertrieb, bei den vielen Projekten wie Kaffee Bankrott oder eben in der selbstverwalteten Notübernachtung engagiert haben.
Lob von der falschen Seite ist wie Kacke am Schuh. Seit der Gründung vom strassenfeger 1994 [damals noch unter dem Namen mob - obdachlose machen mobil e.V.] gab es einen klaren Konsens aller im Projekt engagierten Menschen: Lieber kratzen wir den letzten Kitt aus dem Fensterrahmen, als dass wir von Nazis und Rechten auch nur irgendetwas annehmen – Geld nicht und auch nicht eine Lobrede.
Obdachlose Menschen wissen spätestens seit 1933: Wenn die Faschisten an die Macht kommen, bedeutet das Vertreibung und Vernichtung obdachloser Menschen.
Um es klar und deutlich zu sagen: Thorsten Liesicke und alle ehrenamtlichen vom Strassenfeger e.V. haben diese Auszeichnung allemal verdient. Das Engagement für Menschen, die durch eine verfehlte Wohnungspolitik, in der Eigentum und Profite wichtiger sind als das Menschenrecht auf Wohnung, in der Regel unfreiwillig obdachlos geworden sind, ist alles andere als einfach. Es erfordert starke Nerven, vor allem aber viel Liebe, viel Aufmerksamkeit und Empathie. Das ist im höchsten Maße anerkennenswert. Das zeigte auch der tosende Beifall, den Thorsten entgegen nehmen konnte.
Zugleich wurde mit einer #NoAfD-Laudatio diese Leistung diffamiert und in den Dreck gezogen. Politisch instinktlos, respektlos und herabwürdigend ist, dass alle die, die diese Veranstaltung geplant haben oder gewusst haben, wer hier diese Laudatio halten wird, nicht eingeschritten sind und dies verhindert haben. So nach dem Motto: Es sind ja nur Obdachlose – mit denen kann man es ja machen!
Dr. Stefan Schneider
Gründungsmitglied von Strassenfeger e.V. (damals mob e.V.) 1994
Ex-Bezirksverordneter (parteilos in der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen) 2006 - 2011
Pankower Bürger seit 1999
Foto: Steffen Gester