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Berlin, 25.03.2024

Stellungnahme der Wohnungslosen_Stiftung zum Referentenentwurf des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit 2024 „Gemeinsam für ein Zuhause“ (NAP W)

Die Wohnungslosen_Stiftung - Gesellschaft für Selbstvertretung wohnungsloser Menschen und Empowerment auf Augenhöhe ist ein Interessenverband wohnungsloser, ehemals wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen und ihrer Unterstützer:innen.

Im Netzwerk der Wohnungslosen_Stiftung engagieren sich mehr als 100 Menschen mit Wohnungslosigkeitserfahrungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, die ihrerseits häufig in Gruppen, Initiativen, Vereinen, Projekten, Selbstvertretungen und Bündnissen aktiv sind.
Im Netzwerk der Wohnungslosen_Stiftung kommen so unterschiedliche Perspektiven und Blickwinkel zur Sprache und die Vielfalt wohnungsloser Lebenswirklichkeiten und ihrer Positionen wird sichtbar.

Zum vorliegenden Entwurf des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit 2024 möchten wir folgendes festgehalten wissen:

1. Erfahrungsexpert:innen angemessen beteiligen / Beteiligung strukturell ermöglichen

Wohnungslose Erfahrungsexpert:innen wurden bei der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit nicht angemessen beteiligt: Nur wenige Erfahrungsexpert:innen sind zu einer „Zukunftswerkstatt 19./20. Juli 2023“ eingeladen und dann aber nicht weiter einbezogen worden. Die im Spätsommer erfolgte nicht transparente Auswahl und Pro-Forma Beteiligung von genau zwei (!) männlichen Erfahrungsexperten aus einer regionalen Selbstvertretungsgruppe in dem aus 58 Menschen bestehenden Lenkungskreis entspricht einem Anteil von unter 3,5% von Erfahrungsexpert:innen.

Um den Anliegen wohnungslosigkeitserfahrener Menschen und der Vielfalt aller Lebenswirklichkeiten angemessen gerecht zu werden und der erdrückenden Mehrheit nichtwohnungsloser Sichtweisen und Interessen etwas entgegen zu setzen, muss der Anteil wohnungslosigkeitserfahrener Menschen im Lenkungskreis und allen anderen Gremien, Arbeitsgruppen und Foren wenigstens ein Drittel (!) betragen.

Zur Mitarbeit ist offen auszuschreiben, die Auswahl erfolgt durch die Erfahrungsexpert:innen selbst, eine Rotation bei der Mitwirkung ist möglich, die Arbeit der Erfahrungsexpert:innen wird durch ein einzurichtendes unabhängiges Netzwerkbüro der Wohnungslosen_Stiftung unterstützt und koordiniert, die Reise-, Unterkunfts- und Netzwerkkosten werden durch den Bund finanziert.

2. Menschenrecht auf Wohnung im Grundgesetz verankern / Gemeinwohlorientiertes Wohnen ausbauen

Das Menschenrecht auf Wohnung bzw. selbstbestimmte Wohnformen und der einklagbare Rechtsanspruch darauf ist dringend im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu verankern.

Deutschland ist dringend aufgefordert, den Anteil an gemeinwohlorientierten Wohnungen zum Selbstkostenpreis auf dem Wohnungsmarkt deutlich zu erhöhen und auszubauen.

3. Zwangsräumungen dauerhaft aussetzen / Prävention ausbauen

Eine wesentliche Ursache für Wohnungslosigkeit sind Zwangsräumungen.

Um die Zunahme von Wohnungslosigkeit zu stoppen, müssen Zwangsräumungen ab sofort durch ein unbefristetes Moratorium ausgesetzt werden. Zwangsräumungen dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn eine gleichwertige bezahlbare Wohnung zu vergleichbaren Bedingungen zur Verfügung gestellt werden kann.

Zwangsräumungen dürfen niemals dazu führen, dass Menschen obdachlos werden.

Auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, hält dringende Schritte für erforderlich, um das akute Defizit an bezahlbarem Wohnraum, insbesondere in den städtischen Zentren, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. In ihrem Bericht fordert sie: "Umfassende und langfristige Maßnahmen, inklusive durch entsprechende Änderungen des Mietrechts [...] um Obdachlosigkeit zu verhindern und zu beseitigen.“ (https://www.coe.int/de/web/portal/-/germany-follow-through-with-human-rights-commitments-and-improve-access-to-social-rights)

Maßnahmen zur Prävention von Wohnungslosigkeit und zum Erhalt von Wohnraum müssen – wie auch schon im NAP gefordert - ausgeweitet, vereinfacht und niederschwellig zugänglich sein. Hilfreich wären Koordinierungsstellen zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit sowie aufsuchende Soziale Arbeit und eine bessere Information von Mieter:innen.

4. Ordnungsrechtliche Unterbringung überwinden

Die bisherige Antwort auf Wohnungslosigkeit ist die Unterbringung wohnungsloser Menschen in Unterkünften auf Grundlage des Ordnungsrechtes. Die menschenunwürdigen Zustände dieser zwangsgemeinschaftlichen Unterkünfte werden schon seit längerem kritisiert, die Einführung von Mindeststandards wird gefordert.

Massennotunterkünfte sind häufig Orte der Gewalt und ein profitables Geschäftsmodell auf Kosten wohnungsloser Menschen.

Es werden enorme Summen öffentlicher Gelder verbrannt für Hilfestrukturen privater Anbieter und auch der Wohlfahrt, die darauf zielen, dass wohnungslose Menschen wohnungslos bleiben und Folgekosten dauerhafter Wohnungslosigkeit behandelt werden (Gesundheit, Sucht, Psyche, etc).

In einem abgestimmten Transformationsprozess sind ordnungsrechtliche Unterkünfte - auch gegen Lobbyisteninteressen - so zügig wie möglich vollständig durch Wohnungen zu ersetzen.

Notunterkünfte können niemals eine Wohnung ersetzen.

5. Leerstand zählen statt wohnungslose Menschen / Forschung statt Ausforschung

Alle bisherigen Zählungen wohnungsloser Menschen („wir brauchen die Zahlen, um zu ….“) waren in Wirklichkeit folgenlos und brachten keine Verbesserungen der Situation der gezählten Menschen. Sie wurden von wohnungslosen Gruppen und Initiativen wiederholt kritisiert und abgelehnt.

Stattdessen kann Leerstand an Wohnungen und anderen geeigneten Immobilien erfasst werden als vorbereitende Maßnahme zur Erschließung von neuem Wohnraum. Wohnungslose Menschen sind in ihrem Alltagsleben ständig konfrontiert mit leerstehenden und offensichtlich nicht genutzten, aber abgeschlossenen Büro- und Gewerberäumen. Sie sollten mit einbezogen werden in die Erfassung von Leerständen zur Vorbereitung einer Umnutzung.

Wissenschaftliche Forschungsvorhaben zielen gegenwärtig oft auf eine „Ausforschung“ von Orten, Nutzungsmustern und Verhaltensweisen wohnungsloser Menschen. Sie sind häufig nur oberflächlich partizipativ und können auch als Datenbasis für Strategien von Ausgrenzung und Vertreibung missbraucht werden.

Wir fordern eine klare Orientierung der Forschung dahingehend, wie Wohnungslosigkeit wirksam bekämpft, Vorurteile gegenüber wohnungslosen Menschen abgebaut, paternalistische Strukturen in der Wohnungslosenhilfe aufgelöst, solidarische Peer-Angebote und Wohnprojekte aufgebaut und wie gemeinschaftliche Selbstwirksamkeit wohnungsloser Menschen etabliert und gestärkt werden kann.

6. Recht auf alternative Wohnformen / Wohnungslose Menschen in Bauvorhaben einbeziehen / Bestehende Gebäude ressourcenschonend umnutzen / gesetzliche und behördliche Gleichbehandlung wohnungsloser Menschen / Selbsthilfe nicht kriminalisieren

Das Menschenrecht auf Wohnung beinhaltet auch ein Recht auf alternative und selbstbestimmte Wohnformen. Freiräume zulassen

Bereits auf dem Wohnungslosentreffen 2018 in Freistatt haben wohnungslose Menschen gefordert: Wohnungslose Menschen sollen in Wohnungsbauvorhaben einbezogen werden.

Wesentlich ressourcenschonender als der Neubau von Wohnungen ist es, ungenutzte Gebäude zu aktivieren und zu Wohnraum umzufunktionieren bzw. zu einer Wohnraumnutzung zu qualifizieren. Dabei können die Erfahrungen und Fertigkeiten und Gestaltungsideen wohnungsloser Menschen in den kreativen Umbau einbezogen werden.

In der öffentlichen Debatte werden wohnungslose Menschen sehr oft ausgespielt gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund mit und ohne Flucht- oder Kriegserfahrung. Wir fordern die solidarische Überwindung von Konkurrenzen unter und zwischen wohnungslosen, obdachlosen geflüchteten und arbeitsmigrantischen Menschen durch gesetzliche und behördliche Gleichbehandlung.

Der kreative Selbsthilfe und Selbstermächtigung wohnungsloser Menschen im Umgang mit Leerstand darf nicht kriminalisiert werden. Dabei sollte das Menschenrecht auf Wohnung stets Vorrang haben vor Profitinteressen – denn „eine Wohnung ist kein Aktienpaket“ (AG Berlin Mitte, Az: 25 C 80/23).

7. Straßenobdachlosigkeit sofort beenden / Gewalt und strukturell verankerte Menschenfeindlichkeit bekämpfen

Als Sofortmaßnahme zur Bekämpfung der akuten Not auf der Straße erhält jeder einzelne auf der Straße lebende Mensch mit sofortiger Wirkung einen Gutschein für eine mindestens fünfmonatige Hotelunterbringung. Während dieser Zeit wird ein Übergang in eine eigene Wohnung organisiert.

Alternativ kann die Ernsthaftigkeit der Absicht, Wohnungslosigkeit bis zum Jahr 2030 abzuschaffen, dadurch gezeigt werden, dass der bestehende Leerstand sofort dafür genutzt wird, für jeden einzelnen obdachlosen Menschen eine abschließbare Wohnung zu organisieren.

Während der Corona-Zeit war in einigen Städten die sofortige und unmittelbare Hotelunterbringung obdachloser Menschen in Einzelzimmern möglich. Die Erfahrungen damit waren durchweg positiv.

Gewalt gegen obdachlosen Menschen auf der Straße ist unbedingt zu verurteilen. Die Ursachen sind häufig individuelle und strukturelle sozialrassistische und menschenfeindliche Haltungen sowie grundsätzliche Vorurteile gegenüber armen und wohnungslosen Menschen. Das wirksamste Mittel dagegen ist Aufklärung sowie eine auf Gerechtigkeit und Menschenrechten basierende soziale Gesellschaft, die allen Menschen eine stabile Daseinsgrundlage und eine dauerhaft sichere Wohnung bietet.

Ausblick

Die Wohnungslosen_Stiftung wird auch weiterhin ihren Beitrag zur Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit leisten, indem sie wohnungslose Menschen darin unterstützt, sich zu vernetzen, auszutauschen und sich angstfrei zu Wort zu melden.

Solidarische Hinweise